Flucht vor dem Corona-Wahnsinn

08.06. - 15.06. Entlang des letzten Zipfels der Ostseeküste

Kilometerstand 53602 - 54089

Am nächsten Morgen ging es dann gleich nach dem Frühstück nach Umeå ins Einkaufszentrum zu Ikea, eine neue Matratze kaufen. Die alte ließen wir gleich dort. Ikea in Schweden ist deutlich preisgünstiger als Ikea in Deutschland! Dann gings noch in den Supermarkt und über Land in Richtung Robertsfors.

Robertsfors ist ein alter Industrieort in der schwedischen Provinz Västerbottens län und der historischen Provinz Västerbotten. Hier wollten wir uns ein bisschen Industriegeschichte am heute noch aktiven Stahlwerk anschauen. Natürlich war das Museum geschlossen, aber ein Rundgang mit vielen Hinweisschildern ist immer drin.

Da passt der Willi gut dazu

Robertsfors

1758 wurde ein Hüttenwerk gegründet, das 1782 durch ein Hammerwerk und weitere Einrichtungen erweitert wurde.
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Im Laufe der weiteren Entwicklung wurden ein Hafen, eine Werft u. a. angelegt, ebenso die Bahnstrecke Robertsfors–Sikeå im Jahr 1878 erbaut. Das Hütten- und Hammerwerk wurde in den 1890er Jahren stillgelegt und heute befindet sich auf dessen Areal ein Industriemuseum. (Quelle: Wikipeda)
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Bei dem schönen Wetter zog es uns an die Ostsee zurück. In der App hatten wir am Strand von Robertsfors einen Stellplatz gefunden. Der war so toll, dass wir uns bis Freitag häuslich einrichteten und erstmal dort blieben. 

Am Montag waren wir mit einem Zelter allein, ab Mittwoch füllte sich der Platz mit Wohnmobilen, überraschenderweise auch mit vielen Deutschen, mit denen wir in regen Erfahrungsaustausch traten, besonders mit Roland, Ramona und dem kleinen Hannes. 

Trotz des ziemlich starken Windes fanden wir geschützte Plätze am Strand und wagten auch mal den Sprung - also den Gang, die Ostsee ist wahnsinnig flach - ins wirklich kalte Wasser. Im Wald und am Strand war unglaublich viel Elchlosung - deshalb starteten wir einen neuen Versuch mit unserer Wildkamera - leider erfolglos. 

Dafür hatten wir aber eine sehr nette Begegnung mit einem älteren schwedischen Ehepaar. Ich war dabei guten Kartoffelsalat zuzubereiten da hörte ich Matthias sagen: " Du bekommst Besuch!" und schon standen die beiden im Willi. Beide rüstig Ü 80, an allem interessiert. So schnell konnte ich nicht gucken, da saß die ältere Dame auf unserem Bett und fragte, fragte, fragte. Und ließ sich von mt am Rechner unsere Route erklären. Sehr sehr nett.

Am Samstag fiel uns der Abschied vom Strand nicht wirklich schwer - siehe Bild.

Unser Ziel hieß Luleå, wir wollten die Gammelstads Kirchstadt besuchen. Zwischendrin noch schnell ein Halt an einer Fischräucherei - Fisk Rökeri. Diese liegt direkt an der Regionsgrenze zu Norrbottons Län. Dort gibt es eine imposante Touristinformation, welche, auf der linken Seite der Autobahn gebaut, den Touristen auf dem Weg in den Norden hilfreich und Rastplatz sein sollte. 

Weshalb links? Es wurde gebaut als Schweden noch Linksverkehr hatte. 

Der Vergleich zu Deutschland? 4 Wochen nach Fertigstellung des Gebäudes wurde auf Rechtsverkehr umgestellt und aufwendige Brücken nachgerüstet.

Leider hatte die Touriinfo geschlossen. Normalerweise erhält man hier kostenfreie Auto- und Campinkarten für Västerbotten und Norbotten, also für den gesamten schwedischen Norden. 

In Luleå ging's erstmal ans Einkaufen und dann zum Stellplatz am Luleälven. Das Wetter wurde besser, aber mit der Sonne kamen auch die Mücken. Sonntag morgen probierten wir das Baden im Fluss - genauso kalt wie die Ostsee aber auch so erfrischend.

Erfrischt und im Sonnenschein ging es dann 6 km östlich in das Weltkulturerbe Gammelstads Kirchstadt. Nach Durchquerung einer 3,50 m hohen Unterführung - wir hatten ja 5 cm Luft nach oben - fanden wir einen geeigneten Stellplatz und liefen erstmal los - orientieren hieß die Aktivität. 

Weltkulturerbe Gammelstads - Teil 1

Entstehung und historische Bedeutung

Vor 1000 Jahren lag das Land in dieser Gegend 10 m unter Wasser. Der Kirchberg im heutigen Gammelstad war eine kleine Insel im Mündungsdelta des Flusses Lule Flusses. 

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Im 12. Jahrhundert wurde Gammelstad Zentrum des Kirchspiels, das sich entlang der Flüsse Kalixälven, Lule älv und Råneälven von der Küste bis zu den Bergen erstreckte. Nach dem Frieden von Nöteborg im Jahre 1323 waren Schweden und Russland uneinig über den Grenzverlauf im Norden. Der schwedische Staat versuchte, die Gegend um den Lule älv stärker in das Reich einzubeziehen. Priester wurden in den Norden gesandt und einfache Holzkirchen gebaut. 1339 wurde der erste Gottesdienst in Luleå gehalten. Die Provinz Norrbotten wurde Teil des Schwedischen Königreiches mit schwedischen Gesetzen und Steuern. Von Schwedens insgesamt 71 Kirchstädten existieren heute nur noch sechzehn, Gammelstad ist davon die mit 405 Häuschen die am Besten erhaltene Kirchenstadt. (Quelle: Wikipedia)


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Durch das Kirchdorf zur Kirche

Weltkulturerbe Gammelstads - Teil 2

Die Kirchstadt
Die Kirchstadt war ein Treffpunkt für alle Mitglieder der Kirchengemeinde Västerbotten Län. Auf Grund der großen geographischen Entfernungen zwischen den Wohnsiedlungen und der Kirche, dem regelmäßigen Pflichtbesuch der Kirche war der Bedarf groß, Übernachtungsmöglichkeiten um die Kirche herum zu schaffen.

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Die ersten Häuser wurden vermutlich um 1600  nach dem Prinzip "Bauen nach Bedarf und Platz" errichtet. Zuerst entlang der Einfallstraßen, später unter Nutzung der Zwischenräume. So  entstanden die engen Gassen. gebaut. Man traf sich jedoch nicht nur zu zu Gottesdiensten, auch zu kirchlichen Feiertagen und Märkten. Die meiste Zeit jedoch war die Kirchstadt leer und ruhig. 
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Am Kirchplatz befindet sich ein alter Schöpfbrunnen sowie ein Lagerhaus.

In der Kirche wurde gerade der Gottesdienst beendet, also schlenderten wir zur Touristeninformation.Zwei nette Schwedinnen boten uns eine Führung in englisch oder eine Audioguide-Tour an. Letzteres nahmen wir gern an und drehten nochmal die Runde, diesmal mit professioneller Anleitung. Leider war die Kirche schon wieder geschlossen, offiziell wird sie am 29.06. jeden Jahres für alle Besucher geöffnet. Pech gehabt, solange wollten wir nicht in Luleå bleiben.

Weltkulturerbe Gammelstads - Teil 3    

Die Nederluleå Kirche
Die Kirche ist die größte mittelalterliche Kirche im schwedischen Land Norrland. Anfang des 15. Jahrhunderts wurde mit ihrem Bau begonnen. und 1492 als katholische Kirche geweiht - erkennbar an den auf den Giebelseiten befindlichen Kreuzen.
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In unruhigen Zeiten wurde sie zu Verteidigungszwecken genutzt. Die zugemauerten Schießscharten und die Aussichtsluke sind heute noch sichtbar. Außerdem war die Kirchenmauer in der Vergangenheit deutlich höher. Die Kirche blieb bis ins 18. Jahrhundert weitgehend unverändert.(https://en.wikipedia.org/wiki/Nederluleå Church)
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Heute sind die kleinen Wohnhäuser in Privatbesitz und werden regelmäßig, jedoch nicht oft im Jahr bewohnt. Leider war auch das Museumshaus noch nicht geöffnet, aber wir hatten das große Glück, dass uns ein alter Mann ansprach und fragte, ob wir einen Blick in sein Haus werfen möchten. Natürlich gern. Das auf englisch geführte Gespräch wurde dann im Haus in deutsch mit ihm und seiner Frau weitergeführt. Ursprünglich bestanden die Häuser nur aus einem Raum, Toiletten und Waschgelegenheiten sind damals wie heute für die Gemeinschaft verfügbar gemacht. 

Nach dieser ungeplanten aber interessanten und herzlichen Begegnung setzen wir unsere Runde durch das Kirchdorf fort. Das Kirchdorf wurde für festansässige Einwohner gebaut. Man findet dort z.B. das Wärdshus (Wirtshaus), Gemeindespeicher und Gemeindehaus, Baptisten- und Separatistenhäuschen, Bürgermeister- und  Hauptmannshof und viele weitere Gebäude, die auch heute noch bewohnt sind.

Im Kirchdorf

Das Hägnan Freilichtmuseum haben wir leider irgendwie übersehen - doof aber nicht zu ände. Ramona und Roland waren dort mit ihrem kleinen Hannes und haben uns Bilder geschickt. Dafür gab's zum Abschluss Kaffee und Kuchen und für den Abend Garnelen- und Lachssandwiches.

Wir starteten wieder, diesmal zu Rörbäcks Camping och Havsbad. Hier waren wir mit Ulf, einem Kontakt aus dem Forum der Allrad-LKW-Gemeinschaft verabredet, der dort seit 2 Jahren in seinem LKW lebt. Wir waren gespannt, persönlich kannten wir uns nicht. Und unser Willi hatte Pflegebedarf - die rechte Vorderbremse hat wieder blockiert. Vielleicht konnte uns Ulf helfen - das wird Matthias dann alles beschreiben.

Der Campingplatz liegt ca. 11 km von der E4 am Bottnischen Meerbusen, mitten in einem lichten Kiefernwald. Wir sind nun fast am Ende de Ostsee angelangt. Für uns war schon ein Platz reserviert und als Matthias mit Ulf anfing loszuschrauben machte ich eine Erkundungsrunde. Und wie es der Zufall so will, hatte ich am Strand meine erste Begegnung mit einem kapitalen Rentier. Irgendwie war es vom Winter übrig geblieben, eigentlich ziehen sich die Rentierherden wenn es wärmer wird in die Berge zurück. Vielleicht roch es komisch und durfte nicht mehr mit der Herde mitspielen???

Das Rentier lag einfach völlig desinteressiert am Strand in der Sonne rum

Durchsicht am Willi

Sonntag (Matthias schreibt)

Nach Abfahrt vom Strand in Luleå hat beim ersten Bremsen erneut das rechte Vorderrad am Willi total blockiert. Das wollte ich mir nun auf dem Campingplatz noch einmal ansehen. Ganz bewusst nicht sofort auf einem Parkplatz, weil:

  1. Das Blockieren nach dem "Warm- oder Trockenbremsen" wieder nachließ,
  2. wir, falls ein Ersatzteil bestellt werden musste, eine Lieferadresse brauchten,
  3. Ulf fachmännisch zur Seite stehen und unterstützen konnte.

Also, Willi vorn hoch genommen und das Rad und die Bremstrommel abgezogen. Das ist mittlerweile Routine und dauert nur ein paar Minuten. Seit meiner letzten Reparatur hatte sich an der Bremse nichts verändert. Die Stößel des Radbremszylinders saßen wie sie sollten und auch die Nachstellexzenter zur Bremsbackeneinstellung waren in Ordnung. Die Bremstrommel sah aus wie sie sollte - keine Beanstandungen.

Ulf berichtete, dass dies bei seinem alten Hanomag auch immer wieder der Fall ist. Beim ersten Bremsen blockiert das Rad, weil Roststellen (manchmal schon beim Stehen über eine Nacht) den Reibwert der Trommel deutlich heraufsetzen. Nach ein bis zwei Radumdrehungen - Fuß leicht auf der Bremse - verschwindet das Problem. Das deckte sich mit meinen Erfahrungen.

Trotzdem haben wir die linke Seite auch gleich noch kontrolliert. Auch dort alles i.O. - Oder? Das sieht doch komisch aus! Der Sicherungsring war nicht in die Nut des Stützbolzens eingerastet! Da hat wohl der Kfz-Mechaniker der Fachwerkstatt in Leipzig bei der letzten Bremsenreparatur etwas zu oberflächlich gearbeitet. Nun Ja! Mein Vertrauen in diese Werkstatt ist eh etwas arg gedämpft. Ich hoffe, sie haben bei der Bremsenreparatur wenigstens die Kraft der Tatzenfedern der Lenkerarme (100 - 150 N) richtig eingestellt. Diese konnten wir hier im Feld nicht prüfen, da wir dazu die komplette Bremse zerlegen müssten.

Ring eingerastet, Sitz geprüft, alles wieder zusammengebaut, beide Bremsen erneut  eingestellt und am Dienstag bei Abfahrt wird getestet.

Da die Räder einmal ab waren, hat Ulf mir gleich noch viele interessante Details zu den Doppelgelenken der Steckachsen erzählt und deren Sitz und Spiel geprüft. Auch die Buchsen und Lager der beiden Tragringe haben wir gemeinsam angesehen und meine Vermutung, das Spiel dort könnte schon zu groß sein, wurden zum Glück entkräftet.

Auch die Gelenkwellen vom und zum Zwischengetriebe sind i.O. Der Abgang zum vorderen Differntial hat das mir bekannte Höhenspiel, da sich dieses allerdings in den letzten 20.000 km nicht verändert hat, ist auch das ok.

Alles super. Nach einem gemeinsamen Abendessen und vielen guten Tipps zum Fahrzeug und zur Weiterreise haben wir den Abend ausklingen lassen.

Montag:

Heute wollte ich mir die quietschenden Scheibenwischergestänge, das laute obere Lager der Lenksäule und die schlagende Tachowelle vornehmen. 

Um an das Wischergestänge zu kommen muss man mindestens das Mittelteil des Armaturenbretts demontieren. Ich konnte keine Unregelmäßigkeit erkennen, habe alle Gelenke gefettet, alle Schrauben etwas gelöst, den Wischer ein paar Umdrehungen laufen lassen und alle Schrauben wieder angezogen. Das Quietschen und Klacken ist erst einmal weg. Mal sehen wie lange??

Die Tachowelle war auch recht schnell mit ein paar Tropfen Feinmechanikeröl versorgt und wieder am Tacho angebaut. Ergebnis wird sich am Dienstag bei Abfahrt zeigen.

Das Lager der Lenksäule hat eine eigene Geschichte.
Zur HU im April diesen Jahres haben die beiden Prüfer zur Fahrwerksprüfung (!) recht mächtig am Einstiegsgriff Fahrerseite und am Lenkrad gerissen um das Fahrzeug zur besagten Prüfung "in Schwung" zu bekommen. Das lernt man wohl so. Mein lautes Veto, man könnte auch Geschrei dazu sagen und ein eben solches des Werkstattmeisters blieben ungehört. Fazit dieser Aktion war, dass der Sitz der M8 Karosserie-Einpressmutter, welche den Griff am Armaturenbrettunterbau (1,5 mm Stahlblech) trägt, deutlich eingerissen ist (1,5 mm Riss im Blech !!) und die obere Führung der Lenksäule quietschte seither und hatte Spiel. Dazu muss man wissen, dass dieses Lager lediglich die Lenksäule im Verlauf ihrer Achse führt. Selbst in der Bedienungsanleitung des Fahrzeugs ist vermerkt, dass man sich beim Einsteigen nicht am Lenkrad, sondern an den vorhandenen Griffen hochziehen bzw. festhalten soll. 

Buchse und Lenkrad selbst sind für diese Querkräfte nicht ausgelegt und mussten sich bei o.g. Prüfung (HU) dem massiv schwingenden Körper eines ausgewachsenen Monteurs hingeben und diesem schlussendlich erliegen, während der zweite Prüfer  glaubte, dadurch eine Bewegung im Fahrwerk zu erkennen. Natürlich war das nicht möglich, weil  Fahrerhaus und Rahmen auch noch einmal  gegenüber dem Fahrwerk federgelagert sind. 

Der Griff muss nach unserer Rückkehr geschweißt werden. Ich hoffe, er hält bis dahin. (Ines schreibt: Das hoffe ich auch!)

Ulf hatte uns für die Weiterreise viele gute Tipps gegeben. Wir sind heute am Campingplatz mit einem frisch gepflegten Willi im Regen gestartet. Rudolf, das Platzrentier, hat uns wohlwollend verabschiedet - sprich, er hat sich überhaupt nicht gezuckt. Auf der E4 ging es dann in Richtung Haparanda, mal im Nieselregen, mal im Regen, mal hat es ordentlich geschüttet. Die Flüsse und Bäche waren schon ordentlich voll, da ist sicherlich viel Schneeschmelze aus den Bergen dabei gewesen. Es kam ein bissel Taiga-Feeling auf, lichter Nadelwald mit Birken, keine Tiere. 

Und dann waren wir auch schon in Haparanda, dem Endpunkt unserer Ostsee Route angekommen.

Seit 58 Tagen sind wir unterwegs.

Bis nach Haparanda 

  • hat uns Willi nicht einmal im Stich gelassen
  • sind wir ab Leipzig 3.439 km gefahren
  • haben 777 Liter Diesel gebraucht
  • haben wir auf 24 Stellplätzen gehalten
  • haben wir 6 Elche und ein Rentier (das aber zweimal) gesehen
  • waren wir mehrfach in der Ostsee, Flüssen und Seen kurz eintauchen (baden ist was anderes, aber immerhin)
  • haben wir eine Sachsenfahne ersetzen müssen, da sie vom Wind zerzaust war. 

Wir sind gespannt, wie unsere Reise weitergeht!