Von Zittau nach Heringsdorf

Neuzelle – Reitwein – 75,5 km

Frühstück im Hotel, Sachen packen und noch schnell die Rechnung begleichen. Es war wieder einmal stärker als ich: Ich hab´s wieder versucht und wollte in Deutschland mit einer Kreditkarte bezahlen. Das geht in vielen Ländern (auch in Polen auf dem letzten masurischen Dorf) an jedem Zeitungskiosk und an jeder Bierbude – nicht so in der „gehobenen Gastronomie“ in Deutschland. Da wird die Rechnung um 4 % „aufgewertet“. Man hat ja schließlich Kosten und das Servicezeitalter ist längst vorbei.

Fazit: Wir lieben kleine nette Pensionen, wo man mit den Leuten ins Gespräch kommt, die Zimmer liebevoll eingerichtet sind. Das Hotel Kummerower Hof war für uns eine Enttäuschung.

9:13 Uhr sind wir aufs Rad und ab. Der Himmel war leicht bewölkt und angenehm. Wir fuhren nach Neuzelle, um uns das Kloster und die Gärten anzusehen.

  

Vor dem Eingangsportal machten wir uns noch einmal mit der Karte vertraut und beschlossen erst die Klosterbrauerei zu besuchen und dann durch das Klostergelände zu schieben.

Dieses Erlebnis haben wir schnell hinter uns gebracht und sind dann wieder in Richtung Oder aufgebrochen. Der Himmel klarte auf, die Sonne ließ sich sehen. Kurzer Blick zurück und weiter ging die Tour.

9:54 Uhr erreichten wir den Oderdeich und waren in der Natur zurück. Totenstille und ruhiges Waser begrüßten uns an diesem Morgen.

  

Der eigentlich voll gesperrte Oder-Neiße-Radweg war wie angekündigt durchweg befahrbar. Baustellen konnten wir nicht erkennen und auch keinen Grund für die Sperrung. Auf feinstem, glatten Asphalt rollten wir der Planstadt Eisenhüttenstadt entgegen. Wir überquerten auf einer Brücke den Oder-Spree-Kanal und kamen nach Fürstenberg.

  

In dem kleinen Ort besuchte Ines eine Apotheke. Sie hatte seit dem Vortag Schmerzen im Knie. Wir entschieden uns, die Stadttour durch Eisenhüttenstadt nicht zu fahren, sondern weiter außerhalb entlang der Oder. Landschaftlich nicht besonders reizvoll, dennoch ein schöner ruhiger Weg.

  

Vorbei an offensichtlich nie fertiggestellten Kraftwerksbauten verlief der Radweg jetzt in noch besserem Zustand langweilig hinter dem Deich. Links Wald oder Feld, rechts der Deich über den wir nicht drüber schauen konnten. Das war dann doch sehr ernüchternd. Hier gilt unser Dank den Planern der zuständigen Behörden. Macht es ja nicht zu interessant für Radtouristen! Das könnte womöglich ablenken oder gar den Radweg noch schöner machen. An einigen Stellen gab es zusätzlich zum Deichverteidigungsweg, auf welchen wir gezwungen wurden, noch die Möglichkeit die asphaltierte Deichkrone zu befahren. Leider waren diese nicht so zahlreich. Matthias ist an jeder Deichüberfahrt nach oben gefahren um festzustellen ob wir wieder oben fahren können und damit den Oderblick genießen können.

  

Es wurde wärmer! Halb 12 (für alle Bürger der gebrauchten Bundesländer: 11:30 Uhr) zeigte das Thermometer 28,7 °C.  Hier mal noch ein kurzer Einschub zum Wetter. Ganz Deutschland war in Regenschauern und unter dicken Wolken bei Wind und niedrigen Temperaturen verborgen, außer der östlichste Teil der Republik - das Oder-Neiße-Gebiet. Die Wolkenwirbel schoben sich bis Berlin und kurz dahinter vor, verwirbelten in Richtung Ostsee und beschieden uns Sonne und spätsommerliche Temperaturen. Um das auch glaubhaft zu machen, hat Ines ab und an Bilder nach Hause verschickt. Was zurück kam war Empörung und ein Verbot, weitere Schönwetterbilder in die Regenzone abzusenden. Ich denke, wir hatten uns das Wetter aber verdient!

Wir erreichten Brieskow-Finkenheerd und bald darauf Lossow. Über eine lange Abfahrt mit 6% Gefälle kamen wir in die Gubener Vorstadt von Frankfurt an der Oder. Ines hatte weiter Schmerzen im Knie. Das Wetter wurde trüber, blieb aber noch trocken.

  

Eigentlich wollten wir über den Ziegenwerder einfahren, dies war leider wegen Baumaßnahmen an einer der beiden Brücken nicht möglich.

  

Direkt an der alten Oder ging es dann entlang bis zum Hafen mit Blick auf die große Brücke nach Slubice. Dorthin hätten wir lieber nicht schauen sollen!

Der Blick nach vorn sah besser aus.

Im Vertrauen auf die Wetterscheide Oder fuhren wir relativ entspannt weiter, denn wir suchten schon seit geraumer Zeit ein gemütliches Fleckchen, wenn möglich mit Dach für eine kleine Mittagsrast. Es war ungefähr halb 2 Uhr am Nachmittag. Augenscheinlich ging es an einem verlassenen Militärgebiet vorbei in Richtung Kliestow. Am oberen Ende eines ziemlich steilen Berges, den wir natürlich neben den Pedalen nach oben gekommen sind, fanden wir eine gemütliche Bank unter einem großen Baum. Rast!

Leider hatte die Wetterscheide versagt!

Bevor wir weiter fuhren, waren wir wieder in Regensachen gehüllt, ließen aber den dicken Schauer erst abziehen. Als es nur noch ein wenig nieselte ging es weiter neben der Hauptstraße nach Lebus. Es war hügelig. Ines fuhr vornweg und das war gut so. Matthias wollte gerade Schwung nehmen um nach der Senke den Berg zu meistern, da bog der Weg in der Senke rechts ab. Ines hatte das erkannt - zum Glück. Der Regen hörte auf. Durch einen kleinen Wald führte ein schmaler Weg  über die Adamshänge nach Lebus.

  

In Lebus waren wir wieder an der Oder angekommen.

Ab hier entdeckten wir eine weitere Schildbürgerei. In unserer Heimat und bis hierher ist es üblich, richtungsweisende Hinweisschilder an den Radweg zu stellen. Hier war es anders!


Dieses Bild wurde vom Radweg aus fotografiert

Wir näherten uns dem Tagesziel Reitwein. Deutliches Zeichen dafür war die Reitweiner Diplomatentreppe und die Dammmeisterei.

  

Reitwein erreichten wir trocken über eine Landstraße und freuten uns auf das Quartier „Zur alten Scheune“. Von Reitwein wussten wir nur, dass es einst die "Perle des Oderbruchs" genannt wurde. Von Ferne konnte man schon eine imposante Kirchenspitze vor dem Springberg erkennen.

Dieses absolut unspektakuläre Bild bot sich uns bei Ankunft, offensichtlich der Hintereingang. Keine Ahnung, ob da ein Vierbeiner im Garten wartet. Wir trauten uns nicht das Hoftor zu öffnen. Ines blieb bei den Rädern und ich ging um das Grundstück nach vorn.

Das Grundstück war vorn teilweise ohne Perimeterschutz (Gartenzaun :-) ), somit konnte auch kein Vierbeiner frei herumlaufen. Der Hausherr erkannte mich und führte mich durchs Grundstück zum Quartier, welches sich direkt neben dem Hintereingang in einem neu gebauten Anbau der alten Scheune im Obergeschoss befand. Wieder sehr überraschend! Wieder eine kleine private Pension mit freundlich und nett eingerichtetem Innenleben und fantastischem Garten.

Die Räder verschwanden nach dem Abpacken in der Garage und nach kurzem angenehmen Gespräch mit dem Hausherr machten wir uns frisch und auf den Weg zu einer der beiden Kneipen im Ort. Unser Ziel war dann die Gaststätte am Reitweiner Sporn.

Auf dem Weg dorthin fielen uns die vielen Ziegelsteinhäuser und Ställe auf, die so zeitlos wirkten, als ob sie seit 100 Jahren unverändert dort standen. Sie waren gepflegt und meist gab es wunderschöne Bauerngärten, bei einigen sah man in den Steinen Absplitterungen und Löcher. Kurz vor der Gaststätte fanden wir noch einen zerfallenes Anwesen, das, wie wir vom Wirt erfuhren, eine Jungenderziehungsanstalt im Dritten Reich gewesen war.

In der Kneipe waren wir die einzigen Gäste, so kam das Essen einfach, frisch und lecker auf den Tisch und wir mit dem Wirt ins Gespräch. Er zeigte uns Bilder und alte Postkarten von Reitwein und erzählte von den letzten Kriegstagen 1945. Wir erfuhren z.B., etwas über den Reitweiner Sporn, einer langgezogenen Hügelkette, die steil zum Oderbruch (ca. 60 m) abfällt. Entstanden ist sie als Prallhang der Uroder. Der Boden ist lehmig und das Gebiet von kleinen Tälern durchzogen (Quelle Wikipedia). Von hier starteten die Russen 1945 ihren Angriff auf Berlin mit der legendären Schlacht um die Seelower Höhen. Oberhalb des Ortes im Wald befindet sich heute noch der Befehlsstand des Major Shuikow, Oberbefehlshaber der Russischen Armee. Ich muss hier mal ein bissel mehr ausholen, weil uns der Ort Reitwein sehr nachhaltig - gestrichen - ich hasse dieses Wort - und ersetzt durch - lang nachwirkend im Gedächtnis geblieben ist. Nach den Berichten des Wirts und nachfolgenden Studien einschlägiger Literatur, wechselte vor Reitwein mehrfach der Frontverlauf und Reitwein die Besatzer. Zuerst die Deutschen, die auch die Kirche sprengten, danach die Russen, wieder die Deutschen und so fort. Der Reitweiner Sporn spielte dabei eine strategische Rolle, da sich hier die deutschen Soldaten eingruben um von erhöhter Position aus die heranstürmenden russischen Gegner nieder zu schießen! Die Reitweiner Einwohner litten besonders unter all dem. Durch die Erzählungen des Wirtes neugierig gemacht und Lust auf ein paar Schritte durch Reitwein verließen wir mit einem Wandertipp die Gaststätte in Richtung „Schöne Aussicht- mit Blick vom Reitweiner Sporn in den Oderbruch“ und „Befehlsstand des Major Shuikow“.

Den Befehlsstand haben wir leider nicht gefunden, es wurde dunkel und der Weg war nicht so optimal ausgeschildert. Also zurück in Richtung Dorf. Wenigstens an der Kirche wollten wir noch Halt machen, da diese bereits bei der Anfahrt auf Reitwein markant aus dem Dorf herausgelugt hatte.

Als wir ankamen, waren wir sehr überrascht. Die Kirche war noch vom Krieg zerstört, nur der Kirchturm wieder hergerichtet.

Auch das Reitweiner Schloss gab es nicht mehr, dieses wurde allerdings 1962 abgerissen. Irgendwie war in diesem Ort ganz besonders Geschichte zu spüren. Dies bleibt letztendlich auch der Eindruck, der uns nicht mehr los lässt, wenn wir an Reitwein zurück denken. Ein schönes Dorf im Oderbruch mit einer langen und bewegenden Geschichte. Aufgeräumt und gepflegt aber ohne Kirche, das Schloss nur angedeutet, ein großer russischer Friedhof für die Opfer des 2. Weltkrieges (wo sind eigentlich die deutschen Soldaten begraben?) und in den geklinkerten Stallgebäuden sind zum Teil noch die Einschusslöcher aus dem Krieg zu sehen.

An diesem Abend gingen wir sehr nachdenklich schlafen.