Mit dem Fahrrad von Schmilka nach Dessau und zurück nach Leipzig

von Torgau in die Lutherstadt

Mittwoch 21.05.2008

Am Tag 3 sind wir gegen halb zehn - nach einem netten gemütlichen Frühstück im Alten Bootshaus in Richtung unsere nächsten Etappenzieles - Wittenberg - gestartet.

Es war wieder ein schöner Tag mit Sonne und dem obligatorischen Wind - auf der Fahrt nichts wirklich Spektakuläres. Los ging es ohne unsere Wasserflaschen, denn „Wir kommen durch viele Dörfer und da wird es schon eine Gelegenheit geben, etwas zu kaufen.“ Nichts auf den nächsten 25 km!! Wir sahen alt - besser gesagt durstig aus. War zumindest wieder eine Erfahrung: “Fahre nie ohne Trinken los!“  Mittag war diesmal mitten im Dorfzentrum auf einer Parkbank und den Corny’s. Bei dieser Rast haben wir dann unsere Unterkunft in Wittenberg gebucht - Gasthaus Central in der Innenstadt und auch gleich noch beschlossen, in Wörlitz im Ringhotel „Am Stein“ - exorbitant luxuriös für eine Radltour zu übernachten. Und auch gleich wieder per Telefon gebucht.

  

Wie bereits erwähnt, der Streckenabschnitt war einfach was für Kilometer schrubben, keine besonders aufregende Landschaft. Eher eine eintönige Auenlandschaft - Feld und Wiese und Elbe. Umso schöner war es dann, als die Silhouette von Wittenberg  auftauchte. Ich konnte mich auch noch grob an einen früheren Aufenthalt erinnern - es war die Schlosskirche. Kurz vor Wittenberg dann ein kurzer Stopp an der Elbe, um ein Bild vom km 210 zu schießen. Ein  Muss!

Ankunft in Wittenberg und kurze Wartezeit, bevor die Wirtin kam und uns unsere nächste Übernachtung gezeigt hat. Nichts spektakuläres, eine einfache Radfahrerunterkunft, aber mit großem Doppelbett! Nach dem während unserer Reise immer wiederkehrenden Ritual - Taschen ablegen - öffnen - Sachen im Zimmer verteilen - vor dem Duschen nach einem Fön fragen - Duschen - Stadtfein umziehen - fertsch - ging es dann in die Innenstadt. Wir hatten vorher erfahren, dass es einen Spät-Stadtrundgang um 19:00 Uhr mit Start an der Startinformation gibt. Da wir aber zeitig genug da waren,   

sind wir zuerst mal auf eigene Faust durch das Zentrum und bei der Gelegenheit gleich noch in die Stadtkirche St. Marien gegangen. Nicht ganz uneigennützig, denn wir wollten vorher essen, da die Besichtigung ca. 1,5 Stunden dauerte. Gelandet im gutbürgerlichen Kartoffelhaus und einer ersten Auswertung der Tour und des Stadteindrucks, nämlich sehr sauber und sehr historisch. Auffallend war, dass an jedem zweiten Haus, manchmal auch an jedem, eine Tafel mit einem geschichtsträchtigen Namen angebracht war.  Peter der Erste hat hier genauso logiert wie solche  bekannten Namen der Katarina von Bora, Melanchthon, Cranach der Jüngere und der Ältere, Luther, um nur die wichtigsten zu nennen. Außerdem waren uns kleine Täfelchen an einigen Häusern aufgefallen, die auf „Röhrwasserleitungen“ hinwiesen. Was ist das?

Pünktlich um sieben ging es dann los mit dem Stadtrundgang. Eine charmante Stadtführerin hat uns dann  mit viel Engagement ihre Stadt nahe gebracht. Start war - natürlich die Thesentür an der Schlosskirche. Thesentür war früher, also im 15. Jahrhundert so etwas wie die heutige Pin-Wand, wo jeder seine Informationen  und Neuigkeiten angebracht hat. Und da Luther auch gerade Neuigkeiten für die Pfaffen parat hatte, hat er gleich mal 91 davon aufgeschrieben und angepinnt. Dass dieses zur völligen Spaltung der Kirche - in die katholische und evangelische - führte, hat er bestimmt so nicht geahnt. Einher ging diese Spaltung mit der Auflösung von Kirchen und Klöstern und der Flucht der dort lebenden Mönche und Nonnen - worauf bei Ergreifung übrigens die Todesstrafe stand. Katarina von Bora war solch eine entlaufene Nonne aus dem Kloster Nimbschen, die in einem Heringsfass mit einigen ihrer Mitschwestern in Wittenberg ankam und bei Lucas Cranach ihre erste Zuflucht fand. - Gut, zurück zum Stadtrundgang. Also, nachdem uns unsere nette Stadtführerin den Besuch der Klosterkirche am nächsten Tag ans Herz gelegt hat, führte uns unser Weg durch das Schloss in den Cranach-Hof mit den ehemaligen Wohnhäusern der Meister. Hier entdeckten wir unser Ziel für die Zeit nach dem Stadtrundgang - die Hofwirtschaft mit einer exzellenten Auswahl an Whiskys, einem wunderschönen Biergarten unter einer alten Kastanie, aber dazu später. Die Innenhöfe, die wir uns angeschaut haben, waren fast vollständig so erhalten, wie die Menschen diese vor 500 Jahren auch schon genutzt haben. Altes rumpelpumpel Kopfsteinpflaster, kleine Fachwerkhäuser, große Toreinfahrten für Fuhrwagen, ein bisschen so, als ob die Zeit stehen geblieben ist. Und hier wurde uns auch die Bedeutung der Röhrwasserleitung erläutert. Mal sehen, ob ich das noch zusammenbringe. Also, die Stadt wurde früher von 2 Bächen durchzogen (die gerade beide wieder freigelegt werden). In diese Bäche wurde sämtlicher Unrat, Fäkalien, Waschwasser etc. geschüttet. Aus den Bächen entnahmen aber die Brauereien im Mittelalter auch ihr Wasser für das Bierbrauen. Immer vor dem Brautag wurden deshalb alle Bewohner aufgefordert, das Wasser nicht zu benutzen - Mittelalter halt. -Was wir nicht wussten, alle Kinder bis 6 Jahre und die „Alten“ erhielten Milch zu trinken. Alle anderen tranken Dünnbier - verständlich bei dem Wasser! Also, da es einige sehr reiche Bewohner in Wittenberg gab und außerhalb der Stadt Wasserquellen vorhanden waren, ließen diese für ihre Häuser Rohrleitungen verlegen und Brunnenanlagen bauen. Und das alles ohne Pumpen etc, sondern das natürliche Gefälle ausnutzend wurde das Wasser durch Holzröhren, die mit Eisenschellen verbunden waren, in die Stadt gebracht. Vor 500 Jahren erdacht und gebaut, das Wasser läuft heute noch - eine technische Meisterleistung. Nach und nach wurden noch weitere Höfe angeschlossen (natürlich gegen einen Obolus, und wenn der nicht bezahlt wurde, kam halt kein Wasser mehr aus der Röhre - „den Hahn abdrehen“ ist auch heute noch bekannt und rührt daher) und auch einige öffentliche Brunnen am Markt gebaut.

Weiter durch die Stadt gelangten wir an den Cranach-Häusern und am Wohnhaus des Luther-Freundes Melanchthon vorbei zum Markt. Vor dem Rathaus taute unsere Stadtführerin dann so richtig auf, als sie uns von der letzten öffentlichen Hinrichtung in Wittenberg - dem aufs Rad flechten einer Kindesmörderin - erzählte. Schaurig schön!

Nächste Station war die Stadtkirche mit dem Hinweis auf eine völlig unscheinbare Steinplastik an einem Kirchengiebel - der Judensau. Wie überall waren die Juden auch im Mittelalter in Wittenberg als Geldverleiher ohne Genehmigung ein Gewerbe zu betreiben nur so lange geduldet, bis die Stadt verschuldet war und Geld brachte. Dann kam die obligatorische Hetzjagd, Tötung und Vertreibung.

Wittenberg war im Mittelalter eine Universitätsstadt - bis in tiefe DDR-Zeiten gab es hier noch ein Priesterseminar. Letzte Station war  dann das Lutherhaus, wiederum erstaunlich für uns, dass es in dem riesigen Gebäude nur eine einzige beheizbare Stube gab. Hier lebte und lehrte also der Initiator der evangelischen Kirche. Gestorben ist er in Eisleben bei der Schlichtung eines Rechtsstreites. Katarina erhielt nach seinem Tod eine Einladung nach Torgau, verunglückte auf dem Weg dahin und starb dort an ihren Verletzungen - einem Beinbruch.

Der Abend klang dann wie geplant in der Hofwirtschaft bei Kerzenschein und einer kleinen aber feinen Whiskyverkostung  mit Laura Chavin Nr. 22 aus.

Tourdaten

Start Torgau 09:30 Uhr
Ankunft Wittenberg 16:00 Uhr
Strecke 70,09 km
Durchschnittsgeschwindigkeit 15,4 km/h
effektive Fahrzeit 4:33 Stunden

Übernachtung

Central Pension 53 € DZ inkl. Frühstück