Ein Geburtstagsgeschenk wird eingelöst

Dampfbahnfahrt durchs Selketal

(ein Erlebnisbericht von Matthias)

Wie von Ines schon beschrieben, habe ich mich riesig auch über dieses Geschenk gefreut. Die ausführlichen Unterlagen die dem Gutschein beilagen, versprachen einen interessanten Tag.

Der „Dampftag“ sollte 13.00 Uhr mit einer Sicherheitsunterweisung und örtlichen Einweisung im Bahnhof Gernrode beginnen. Ich hatte echt Mühe, rechtzeitig am Bahnhof einzutreffen. Die Punktlandung gelang mir, jedoch hatte keiner der Beschäftigten Eile, mit mir die angekündigten Themen durchzugehen. Als ich die Unterweisung unterschrieben hatte ging es in die Umkleide zum Jackenempfang. Das war sozusagen der Teil örtliche Einweisung. Als ich wieder aus dem Sanitärgebäude kam, fuhr die bereits restaurierte Lok schon auf Gleis 3 auf mich zu. Den Tagesordnungspunkt Restaurieren der Lok, also Wasser nehmen, Bekohlen, Ölen hatte ich somit verpasst oder übersprungen.

Nun war es Zeit das Personal von Zug und Lok kennen zu lernen. Dies geschah natürlich im Pausenraum bei einer Tasse Kaffee. Lokführer Ronny und Heizer Nico machten einen sympatischen Eindruck und scherzten mit der Zugführerin. Das wird ein kurzweiliger Tag mit Ronny dem Lustigen!

14:01 Uhr, mit 4 Minuten Verspätung, fuhr ich dann auf der 99 7243-1 mit dem P8965 angehangen nach Stiege (und die 4 Minuten waren wichtig für die eilig heran eilenden Mitfahrerfreunde!).

Die Lok 99 7243-1 der Baureihe 99.23-24 mit Achsfolge 1E1 wurde 1970 als "Neubaulok" in Dienst gestellt. Sie hat eine Dienstmasse 60.5 t bei einer Leistung von  700 PS. Die Länge über Puffer beträgt 12500 mm. Sie bietet „genügend“ Platz, um die Führerstandsmitfahrt zu ermöglichen.

Ich hatte meinen Platz direkt hinter dem Lokführer eingenommen und durfte mich von diesem nicht wegbewegen. Wohin auch? Es war nicht viel Platz auf der Lok, sitzen unmöglich und - ja nichts anfassen. Bis dahin hatte ich die Frotzeleien meiner Mitreisenden – ich sei der Heizer – noch im Ohr. Ich hatte die Hoffnung, vielleicht mal ne Schippe auflegen zu dürfen noch nicht aufgegeben und versuchte eine Unterhaltung in Gang zu bekommen. Mein relatives Unwissen über diese Lok machte den Einstieg in das Gespräch über einige technische Fragen scheinbar einfach.

Ich: „Sag mal, was ist den das für ein Stellrad?“

Ronny: „Steuerrad“
Ich: „Aha, auch zum Umsteuern?“
Ronny: „Ja“
Ich: „Und was bedeuten die Zahlen auf dem Messingstreifen?“
Ronny: „Zylinderfüllung“
Ich: schweigen

War wohl nix mit einfachem Einstieg ins Gespräch. Der lustige Ronny war nicht mit auf der Lok. Jetzt war da Ronny der Lokführer. Von links, also dem Heizer, kam auch nix. Der eine schaute links raus, der andere rechts. Ich war der Fremdkörper auf dem Führerstand rechts hinter Ronny dem Lokführer. Bei Einfahrt in einen Bahnhof wurde kurz die Weichenstellung angesagt.

Nico: „liegt richtig“
Ronny: „liegt richtig“
Nico: „Jo“

Meist kam bei einem Halt die Zugführerin nach vorn an die Lok. Da wurde es wieder lustig und freundlich.

Mit ihr durfte ich auch reden. Meine Sicherheitsunterweisung hatte auch einen Punkt zur Öffentlichkeitsarbeit der Harzer Schmalspurbahnen enthalten. Dort hieß es, alle Anfragen von Fahrgästen zu Fahrbetrieb oder technischen Ausstattungen der Fahrzeuge dürfen durch mich nicht beantwortet werden. Ronny der Lokführer ist der Chef. Nur er gibt Auskunft!

Zur Einweisung habe ich auch erfahren, dass Ronny der Lokführer nicht nur Ronny der Lokführer sondern Ronny der UKV-Lokführer ist. UKV steht hier für Urlaub-Krank-Vertretung. Er verdient ein paar wenige Neugroschen mehr, muss dafür aber allzeit einsatzbereit sein. So war es für mich nicht mehr verwunderlich, dass er nach der zehnten 12-Stunden-Schicht keinen Bock mehr auf Gespräche mit einem Fremdkörper hat.

Auf der Strecke war reger Fahrverkehr, so dass der Zugfunk kaum schwieg. Der Fahrbetrieb wird bei der HSB über Zugfunk und klassische Fahrbefehle per Funk geregelt. Das heißt, der Lokführer bekommt einen Fahrbefehl von der Leitstelle in Nordhausen und darf bis zum angegebenen Punkt fahren. Kurz vor Eintreffen meldet er sich wieder über Funk und wenn er Glück hat, schließt sich der nächste Fahrbefehl direkt an. An dem Tag war allerdings soviel Verkehr, dass wir auch vor Einfahrt in einen Bahnhof öfter mal warten mussten.

Auf der Strecke liegen mehrere Bedarfshalte. Bis Alexisbad 4 und bis Eisfelder Talmühle nochmal 4.

Das Personal auf der Lok erkennt, ob jemend zusteigen will und die Zugführerin meldet über Zugfunk an die Lok wenn jemand aussteigen möchte. Nur dann wird gehalten – und das äußerst ungern, denn es ist Arbeit auf der Dampflok einfach mal anzuhalten und wieder loszufahren. Bis Alexisbad haben wir alle 4 Bedarfshalte bedient. 2 zum Ein- und 2 zum Aussteigen. Keine Stimmung für gute Gespräche auf dem Führerstand.

In Alexisbad kamen wir um 14:43 Uhr (wieder pünktlich) an. Am Bahnhof haben sich dann Ines und unsere Freunde vorerst verabschiedet und sind auf Wanderung gegangen. Nicht ohne die Frage zu stellen „Na wie läuft´s? Alles klar?“

Ich habe nur kurz geantwortet, dass wir noch in der Kennenlernphase sind.

14:56 Uhr ging es weiter in Richtung Stiege, welches wir um 15:46 Uhr erreichten und sofort nach Hasselfelde weiter fuhren. Bis Hasselfelde war die Strecke eben und es wurde ordentlich Tempo und Dampf gemacht. Beim Blick aus den Führerstandsfenster konnte ich sehen, wie das Dampfroß im Gleis hin und her sprang. Impossant! Nico hatte seit geraumer Zeit eine Büchse Kartoffelsuppe und ein Glas Bockwürste oberhalb der Feuertür abgestellt. Diese waren nun ordentlich „durch“. Wir kamen 16:00 Uhr in Hasselfelde an. Der Fahrplan sagte 16:10 Uhr die Abfahrt voraus. 10 Minuten Zeit sich die Füße zu vertreten und mal kurz auf der Bahnhofsbank zu sitzen. Für Ronny den Lokführer und Nico gab es keine Pause. Wasser nehmen, Chemie nachfüllen, Ölen und umspannen. Ab jetzt sollte die Lok rückwärts fahrend den P8965 ziehen.

Kurzer Schwatz mit der Zugführerin und wieder ging es nach Stiege. Für mich wieder ein völlig neues Erlebnis. Die Lok fuhr rückwärts, die Waggons hingen sozusagen hinter dem Kessel. Für Ronny den Lokführer hieß das jetzt über seine Schulter oder aus dem Seitenfenster in Fartrichtung zu schauen. Hinter ihm stand aber immer noch ich, der Fremdkörper. Wenn also über die Schulter, dann blickte er mich an, da ich vor dem Fenster in Fahrtrichtung stand. Nach Eisenbahnbetriebs- und Fahrordnung hatte nun Nico auf der jetzt rechten Seite den Streckenbeobachtungsdienst. Allerdings musste er auch noch heizen, die vielen Manometer beobachten und gegebenfalls um wenige Grad an dem einen oder anderen Ventil drehen. Zum Glück gab es keine unbekannten Hindernisse auf den Gleisen und die beiden wussten, wann der nächste Bahnhof oder Haltepunkt naht. Ich, der Fremdkörper, hab die linke Seite im Auge gehabt. Alles gut gegangen. Dennoch kann ich nur empfehlen, falls euch ein Zug mit rückwärts vorgespannter Dampflok begegnet, rechnet nicht damit, dass der Lokführer oder der Heizer wirklich gerade aus dem Fenster schauen (können).

Wir waren inzwischen wieder in Stiege angekommen und haben die Fahrgäste der Kaffeegruppe wieder aufgenommen. Jetzt ging es in Richtung Eisfelder Talmühle und wir passierten tatsächlich um 16:31 Uhr den Bedarfshaltepunkt Birkenmoor ohne Halt. Sensationell! In Eisfelder Talmühle haben wir den Wendepunkt unserer Fahrt erreicht und die 99 7243-1 wurde wieder umgehangen. Jetzt war wieder alles in deutscher Ordnung. Die Lok fuhr vor dem Zug, der jetzt der P8964 war, mit Kessel voraus. Nachdem der Gegenzug Einfahrt hatte, gab der Pfiff der Zugführerin das Abfahrtssignal und die der Zugfunk erteilte fernmündlich den Fahrbefehl mit Durchfahrt bis Stiege. Nico machte ordentlich Feuer im Kessel, da wir von 352 m auf 520 m üNN dampfen mussten. Völlig unerwartet stand am Haltepunkt Birkenmoor wieder niemand und es wollte auch niemand aussteigen. Nach 21 Minuten haben wir den Berg erklommen und nach weiteren 10 Minuten Stiege auch schon verlassen. Die Fahrt bis Gernrode verlief bis auf ein paar Plänkeleien und das eine oder andere Wort zwischen uns dreien unauffällig. Im Selbststudium hatte ich mir den Führerstand und die Abläufe auf der Lok erschlossen. Die Aufgaben von Ronny dem Lokführer waren für mich erklärbar und verständlich. Was Nico allerdings so tat war für mich (mit Ausnahme vom Heizen) nicht erklärbar. Er war halt der Maschinist! Mit Gespühr, Gehör und dem absoluten Gefühl für jedes Geräusch und jede Vibration drehte er fast unsichtbar das eine oder andere Handrad um wenige Grad. Sofort änderte sich das Geräusch der Maschine oder Vibrationen änderten ihre Frequenz.

19:12 Uhr erreichten wir Gernrode. Gernrode ist das Bahnbetriebswerk der Selketalbahn und war bis 2006 Endpunkt der Strecke. Die Strecke nach Quedlinburg ist eine 8 km lange Neubaustrecke, welche erst am 4. März 2006 eingeweiht wurde.

Da wir noch ein paar Stunden in Quedlinburg zubringen wollten und unser Auto in Gernrode am Bahnhof stand, beschloss ich in Gernrode auszusteigen. Die Fahrt wäre weiter bis Quedlinburg und wieder zurück nach Gernrode (19:58 Uhr) komplett gewesen. Ich habe mich freundlich von meinen beiden Eisenbahnern verabschiedet. Jeder bekam noch einen „Водка зa пути“ oder wie man in denglisch sagt „Wodka to go“.

Vielen Dank Jungs, es war ein tolles Erlebnis!

Der Traum vom Lokführer auf der Dampflok wurde durch den Einblick in die reale Welt auf dem Führerstand abgelöst.

  • Es ist ein Knochenjob, egal ob links oder rechts auf dem Führerstand.
  • Es ist schmutzig, obwohl ständig wit irgendwelchen alten Unterhemden irgend etwas weggewischt wird.
  • Es ist laut und das nicht nur bei Volldampf.
  • Es wackelt und schaukelt und ruckelt so ziemlich alles.
  • Es ist eng und es gibt keine Pausen.
  • Es ist nichts zum Sitzen da, wenn ein Fremdkörper an Bord ist.
  • Es ist trotzdem schön!!
Beispielbild eines Führerstands von Henning Pietsch - German Wikipedia